Während des Einstellungsprozesses äussern viele Organisationen ihre Befürchtung, keinen Kandidaten oder keine Kandidatin zu finden, der oder die ihren Erwartungen entspricht. Sie geben oft zu, dass sie die «eierlegende Wollmilchsau» suchen, verzichten aber nur ungern auf bestimmte Kriterien, die jedoch keine Kernkompetenzen für die Stelle darstellen.
Die Liste der gewünschten Ausbildungen, Erfahrungen, technischen Fähigkeiten, Soft Skills und Persönlichkeitsmerkmalen wird immer länger. Es zeichnet sich ab, dass jede Kandidatur für die Stelle, im Vergleich zum Wunschprofil, zwangsläufig etwas enttäuschend sein wird.
Realistische Erwartungen – auf beiden Seiten
Sie wollen Michelle (oder Barak) Obama anwerben? Das wird schwierig sein. Vor allem, weil der blinde Fleck vieler Organisationen bei einer Einstellung darin besteht, den Spiess nicht umzudrehen: Was haben Sie denn zu bieten? Was können Sie hervorheben, um Bewerbende anzuziehen, sie zu begeistern, ihnen Lust zu machen, in Ihrem Unternehmen und nicht in einem anderen zu arbeiten? Ohne Romantisierung oder Lügen, sondern realitätsgetreu. Wer sich diese Fragen stellt, erzeugt einen Realitätsbezug und das auf beiden Seiten – sowohl als Unternehmen als auch als Bewerbende:n. Sie werden zwar nicht die Obamas rekrutieren können, aber das ist auch gut so, denn sie haben kein Weisses Haus zu bieten. Das macht nichts, es gibt wahrscheinlich andere Mehrwerte, die Sie als Unternehmen zu bieten haben: die Mission des Unternehmens, die Arbeitsbedingungen, die Werte, die Attraktivität der Stelle usw. Man muss sich also bewusst machen, was die eigene Organisation attraktiv macht, daran arbeiten, was noch verbessert werden kann, diese Elemente sichtbar machen und vor allem dafür sorgen, dass Worte und Realität übereinstimmen. Dadurch werden die Menschen intrinsisch motiviert zu Ihrem Unternehmen wechseln wollen.
Empathie und gesunder Menschenverstand
Durch diese Übung versetzt man sich in die Lage des anderen und versucht das Interesse zu erfassen. Der weitere Schritt ist, über die Candidate Experience nachzudenken, ein Thema, das bei einer Einstellung viel zu oft ignoriert wird. Wie wird ein Prozess aufgebaut, bei dem sich die Menschen respektiert fühlen, den Sinn der einzelnen Schritte verstehen und auf beiden Seiten die Vorteile und Risiken einer Einstellung bestmöglich einschätzen können? Wir stellen immer wieder Ungereimtheiten oder Nachlässigkeiten fest, die mit mehr Empathie und Wertschätzung vermeidbar wären. Unklare und unstrukturierte Rekrutierungsprozesse, können die Motivation von Bewerbenden schwächen und die Qualität oder sogar den Erfolg des Prozesses verringern: Assessments mit überflüssigem Druck, der weder gesund noch angemessen ist, zu viele Entscheidungsträger, die von Stufe zu Stufe variieren und nicht mehr unbedingt den Überblick über den gesamten Prozess haben, psychometrische Tests, die nicht unvoreingenommen und ohne Expertise interpretiert werden, ein mangelndes Bewusstsein für kognitive Verzerrungen, sich ändernde Kriterien – all diese Elemente zeigen, dass es notwendig ist, dem Rekrutierungsprozess einen klaren und durchdachten Rahmen zu setzen.
Aufgrund des Fachkräftemangels, der sich aufgrund der demographischen Verteilung verschärfen wird, könnte die Candidate Experience ebenso entscheidend werden wie die Customer Experience.
Eine Einstellung ist keine triviale Angelegenheit, und ihre Folgen sind weitreichend, sowohl für Bewerbende und involvierte Personen, als auch für das Unternehmen, denn bekanntlich sind die Kosten einer «schlechten» Einstellung für eine Organisation enorm. Es geht also darum, eine «nachhaltige» Personalbeschaffung zu betreiben.